Von der Ordnung zur Norm. Mittelalterliche und frühneuzeitliche Statuten

Von der Ordnung zur Norm. Mittelalterliche und frühneuzeitliche Statuten

Organisatoren
Gisela Drossbach; Claudia Märtl
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.10.2006 - 14.10.2006
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Von
Gisela Drossbach, Leopold-Wenger-Institut für Rechtsgeschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München

In der Zeit vom 12. bis 14. Oktober 2006 fand im Historicum der Ludwig-Maximilians-Universität München unter der organisatorischen Verantwortung von PD Dr. Gisela Drossbach und Prof. Dr. Claudia Märtl in Zusammenarbeit mit dem Projektforum Mittelalter und Frühe Neuzeit unter dem Thema „Von der Ordnung zur Norm: Statuten in Mittelalter und Früher Neuzeit“ eine internationale Fachtagung statt. Die Tagung setzte sich zum Ziel, eine Auswahl von Texten, die mit der Selbstbezeichnung statutum aus allen Bereichen der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Herrschafts- und Gesellschaftsordnung überliefert sind, zum Gegenstand eines interdisziplinären Gespräches zu machen. Damit sollte ein Thema von fächer- und epochenübergreifendem Interesse behandelt werden, dessen Erforschung gerade in jüngster Zeit aus unterschiedlichen Perspektiven als Desiderat benannt wurde. Hierzu konnten dreißig Referenten aus Deutschland, Italien, England und den USA begrüßt werden.
Die Tagung war in sieben Sektionen untergliedert, die thematisch auf jene unterschiedlichen Intstitutionen verweisen, in deren Rahmen die zu behandelnden Statuten entstanden.

1. Prolog
Peter Landau (München): „Über die Wiederentdeckung der Gesetzgebung im 12. Jahrhundert”, gab Einblick in sein Thema am Beispiel des Dekretalenrechts und der Gesetzgebung in Pisa um 1160; außerdem ging er der Frage nach der Gesetzgebungskompetenz in dieser Zeit nach.

Kenneth Pennington (Washington D.C./USA): “The ius commune and the Statutes of the ius proprium”, zeigte auf, dass die Lehre des Römischen Rechts in Bologna während des 11. und 12. Jahrhunderts begann. Den ersten Einfluss dieser neuen Disziplin auf das Recht italienischer Städte und Fürstentümer sieht Pennington um 1135-1140. Gleichzeitig sei zu erkennen, wie die Rechtswissenschaft die Gesetzgebung des Königreiches Sizilien, die Stadtstatuten von Pisa, das Prozessrecht und die nicht römischrechtlichen Bücher, insbesondere das Decretum Gratiani, beeinflusste. Diese Entwicklung darf als "Big Bang" des ius commune beschrieben werden. Seit ca. 1140 ist die Kenntnis des Römischen Rechts unabdingbare Voraussetzung, wenn jemand als iurisperitus Mitglied des neuen professionellen Standes der Juristen innerhalb der europäischen Gesellschaft sein will.

2. Kirchliche Institutionen
Arno Mentzel-Reuters (München): „Preußische Synodalstatuten und Reformen im Deutschen Orden“ ging von der komplizierten rechtlichen Stellung der preußischen Kirche im 14. und 15. Jahrhundert aus. Drei der vier Bistümer waren dem Deutschen Orden inkorporiert, unterstanden aber dem Metropoliten von Riga, obschon der Deutsche Orden als solcher exemt war. Versuche, auch das Rigaer Metropolitankapitel dem Orden dauerhaft einzuverleiben und damit diesen Konflikt zu beenden, scheiterten. Die preußischen Synoden dienten zur Regulierung des Konfliktpotenzials und bildeten gleichzeitig eine Einstiegspforte für die allgemeine Kirchenkritik innerhalb des deutschen Ordens selbst. Die Synodalstatuten müssen daher im Zusammenhang mit der Gesetzgebung der Hochmeister, den preußischen Tagfahrten und einer Reihe von Reformschriften aus dem Orden gesehen werden. Es entstand ein neues Bild der kirchlichen Verhältnisse im spätmittelalterlichen Preußen, das die Leichtigkeit erklärt, mit der sich 1533 im Ordensstaat die Reformation durchsetzen konnte.

Ursula Vones-Liebenstein (Frankfurt/Main): „Saint-Ruf: Von Lietberts Liber Ordinis zu den Reformstatuten des 15. Jahrhunderts“, konnte herausstellen, dass der Liber Ordinis Abt Lietberts (1198-1110) eine Aufzeichnung der liturgischen Gebräuche und Consuetudines der Avignoneser Abtei darstellte. Er bildete sowohl die Grundlage des ursprünglichen Verbandes als auch des sich in einer mehrstufigen Entwicklung ausbildenden Ordens von Saint-Ruf, in dem die notwendigen Reformen zur Anpassung an die veränderten Gegebenheiten in Form von Statuten entweder auf den Generalkapiteln beschlossen oder von außen, wie durch den Kommendatarabt und späteren Papst Julius II., oktroyiert wurden.

Lorenz Welker (München): „Musikpflege durch Bestimmungen für Kantoren und Succentoren“, verwies auf die vor über 30 Jahren von Guy Marchal mustergültig herausgegebenen Statuten des weltlichen Kollegiatstifts St. Peter in Basel. Sie zeigen, wie die Dignität des Kantors im Blick auf eine Verbesserung der musikalischen Gestaltung der Liturgie eingeführt wurde. Die in den Statuten festgehaltenen Aufgaben des Kantors geben einen Einblick in die spätmittelalterliche Pflege des Choralgesangs, dessen Stellenwert im täglichen Gottesdienst und in der Erziehung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

Eva Schlotheuber (München): „Bildungszugang und –ausschluss in der franziskanischen Ordensgesetzgebung“, sprach einleitend die Frage an, wie der Orden (gegenüber übergeordneten Gewalten und innerhalb der Gemeinschaft) sein Satzungsrecht durchsetzen konnte und erörterte dann das Problem, wie mit alten Bestimmungen umgegangen wurde, die durch neue ersetzt werden sollten: Alte Kapitelsbestimmungen sollten vernichtet werden. Dabei konnte gezeigt werden, dass der Franziskanerorden diesbezüglich straff organisiert war und effektive Formen der Durchsetzung seiner Statutengesetzgebung gefunden hatte. An zwei weiteren Beispielen wurde versucht, die gesetzgebende Tätigkeit des Generalkapitels zu illustrieren. Zum einen wurden die Zugangsbestimmungen, d. h. Eintrittsmodalitäten der Kandidaten, untersucht, die je nach "Andrang" unterschiedlich rigide oder den Bedürfnissen der Laienwelt entgegenkommend formuliert und durchgesetzt wurden. Hier zeigte sich sehr aufschlussreich, wie zunächst Ausnahmen formuliert wurden, die im Laufe des 14. Jahrhunderts zur "Regel" wurden - eine Entwicklung, die erst die Observanten des 15. Jahrhunderts wieder einschränkten. Das zweite Beispiel war die Ordensgesetzgebung in Bezug auf Buchbesitz. Auch hier ließ sich die allgemeine Entwicklung des Ordens gleichsam an den Bestimmungen ablesen: Zunächst wurde den Brüdern nur der Privatbesitz an Büchern zugestanden, die nach Gutdünken der Ordensoberen verteilt wurden. Erst im Laufe der Etablierung des Ordens ging man zur Einrichtung von Konventsbibliotheken über, die man im ersten Viertel des 14. Jahrhundert für obligatorisch erklärte und deren Zusammensetzung im Zuge von Visitationen regelmäßig überwacht wurde. So erwies sich die Statutengesetzgebung als ein wirksames und notwendiges Instrument des Ordens, auf die sich wandelnden Anforderungen der Zeit zu reagieren.

Heike Mierau (Münster): „Synodalstatuten und die neuen Medien des 15. Jahrhunderts“, interpretierte die Drucküberlieferung der Partikularsynoden des 15. Jahrhunderts nicht inhaltlich mit Bezug auf einzelne Bestimmungen, sondern mediengeschichtlich. Nach terminologischen Vorüberlegungen zum Begriff statutum in seiner Verwendung für die Beschlüsse von Partikularsynoden wurde zunächst eine Befundaufnahme der Drucküberlieferung vorgenommen. Genauer wurden ein Sammeldruck für alle spätmittelalterlichen Statutensetzungen einer Kirchenprovinz und ein Einzeldruck eines Synodalstatuts betrachtet. Da mit dem Medium des Drucks ohne größeren Aufwand gleichlautende Informationen an eine große Zahl von Rezipienten weitergegeben werden konnten, hätte die Drucklegung als geeignetes Mittel zur Verbreitung der aktuellen Synodalstatuten fungieren können. Doch die tatsächliche Nutzung des Druckmediums in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bestätigte diese Annahme nicht. Diese Ergebnisse führten zu neuen Standpunkten in der Diskussion über den Sinn der Synoden und ihrer Statuten.

3. Papsttum
Andreas Meyer (Marburg): „Spätmittelalterliche päpstliche Kanzleiregeln“ betonte nachdrücklich, dass spätmittelalterliche päpstliche Kanzleiregeln keine Statuten darstellen, sondern eher mit den päpstlichen Rechtsbüchern zu vergleichen seien. Er wies aber darauf hin, dass sie wie städtische Statuten oft von den späteren Päpsten und ihren Kanzleien redaktionell bearbeitet und zuweilen sogar systematisch geordnet wurden.

Tilmann Schmidt (Rostock): „Kirchenstaatsstatuten im 14. Jahrhundert“, konnte deutlich machen, dass für die verschiedenen Kirchenstaatsprovinzen die jeweiligen Rektoren Statuten erließen – und zwar bis einschließlich zu jenen von Egidio Albornoz im Jahre 1357. Sie wurden auf Parlamenten verkündet, ohne dass ein Konsens zu dieser Gesetzgebung seitens der Bevölkerung erforderlich war. Allerdings haben sich Städte und Adel gelegentlich beim Papst als übergeordneter Appellationsinstanz über Statuten beklagt, der sie dann widerrufen oder abgeändert hat.

4. Landesherrliche Ordnungen
Martin Kaufhold (Augsburg): „Die Statuten der englischen Könige“, versuchte, die Statuten (statutes) aus dem politischen und dem rechtlichen Prozess der Formierung der politischen Ordnung in England zwischen 1215 und 1399 zu erklären. Das Phänomen der statutes erfuhr erst im 14. Jahrhundert eine verbindliche Formalisierung als schriftliches Gesetz, das aus der gemeinsamen Beratung des englischen Königs mit den maßgeblichen Vertretern der community of the realm im Parlament hervorging. Damit wurde es zum Ausdruck eines englischen Verfassungskonsenses, der die verschiedenen Akteure der englischen Politik in den Prozess der Gesetzgebung einbezog.

Karl Härter (Frankfurt): „Statut und Policeyordnung: Entwicklung und Verhältnis des spätmittelalterlichen Statutarrechts zur frühneuzeitlichen Policeygesetzgebung“ legte dar, dass
sich seit dem 13. Jahrhundert im Bereich des städtischen Statutarrechts Ordnungsnormen finden, die wirtschaftliches Handeln, Sozialverhalten und leichtere Vergehen reglementierten und sich dem weiten Bereich der Policey zuordnen lassen. Insofern reichen die Wurzeln der frühneuzeitlichen „guten Policey“ bis zu den spätmittelalterlichen Städten zurück: Schon aufgrund der höheren soziökonomischen Verdichtung entwickelte sich hier eine frühe rechtliche Regulierung sozialer und wirtschaftlicher Beziehungen und Probleme. Mit der spätmittelalterlichen Ordnungsgesetzgebung setzte jedoch auch eine Entwicklung ein, die vom vereinbarten Statut zum obrigkeitlichen Ordnungsgesetz führte. Bei dieser Ordnungsgesetzgebung handelte es sich nicht um Statutarrecht, das mittels Einung und Willkür zustande kam, sondern um Beschlüsse des Rates, der als städtische Obrigkeit auftrat. Parallel hierzu entwickelte sich auch in den Territorien eine Policeygesetzgebung, die immer stärker in den Bereich der städtischen Verwaltung ausgriff und den obrigkeitlichen Anspruch auf Herstellung „guter Ordnung und Policey“ mittels Policeygesetzgebung nutzte, um Normgebungskompetenz und Autonomie – und damit korporatives Satzungsrecht – einzuschränken.

Christiane Birr (München/Würzburg): „Ordnung im Dorf – Zur Normgenese in Weistümern und Dorfordnungen“ gab Einblick in Dorfordnungen als typische Quellen des ausgehenden Mittelalters und vor allem der frühen Neuzeit. Ihren quantitativen Höhepunkt erreichte die Produktion von Dorfordnungen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und im 17. Jahrhundert; sie gingen allerdings weit ins Hoch- und Spätmittelalter zurück. Bezeichneten sich diese frühen Quellen selbst als „Ordnung“, so ist das regelmäßig in einem Sinne von „einrichten“, „in die rechte Ordnung bringen“ zu verstehen. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts traten neben die Dorfordnungen alten Stils neue Formen. Die Landesherren sahen zunehmend sich selbst als Quelle der Rechtsetzung an und konnten sich Satzungen ländlicher Ortsverbände nur mehr als Ausfluss ihrer fürstlichen Machtvollkommenheit vorstellen. „Ordnung und Gesetz“ wurde eine geläufige Paar¬formel. Beide Entwicklungslinien dörflicher Ordnungen liefen im 16. Jahrhundert nebeneinander her, teilweise waren sie auch gegenläufig, doch dürfen keine zwei klar voneinander geschiedenen Traditionsstränge angenommen werden. Nur in glücklichen Überlieferungssituationen erfahren wir vom Prozess der Errichtung einer konkreten Ordnung. Sie zeigen, daß ein Modell der Normgenese im ländlichen Bereich herrschaftlich-autoritäre und genossenschaftlich-konsensuale Elemente berücksichtigen muss, um den komplexen Vorgängen der frühneuzeitlichen Realität gerecht zu werden.

Nina Pes (München): „Der codice rurale Marianos IV., Iudex von Arborea (Sardinien 14. Jh.)“, zeigte, dass im Sardinien des 14. Jahrhunderts herrschaftliche Normsetzung Einzug erhielt: Der sardische Kleinkönig Mariano IV. erließ zur Regelung des landwirtschaftlichen Lebens den codice rurale, der zu weiten Teilen die sardischen Rechtsgewohnheiten wiedergibt, aber auch erhebliche reformerische Eingriffe enthält.

5. Städtische Einrichtungen
Mario Ascheri (Rom/Siena): “Gli statuti delle città italiane (secolo XII-XIII)”, beschrieb die Statuargesetzgebung in den italienischen Städaten. Dabei setzte er einige Schwerpunkte, indem er in die Anfänge im 11. und 12. Jahrhundert und den “turning point” der Potestà-Regime und der “Volks-”Regime im 13. Jahrhundert differenzierte und schließlich Ausblicke auf das 14. und 15. Jahrhundert gab.

William Courtenay (Madison/Wisconsin USA): “Legislation and Practice. The Role of Statutes at the Medieval University of Paris”, unterschied Statuten jener Universitäten, die einen Gründungsvorgang erfahren hatten (beispielsweise Prag, Heidelberg, Wien), von jenen Statuten, die über einen längeren Zeitraum entwickelt worden waren (beispielsweise Paris, Bologna, Oxford); letztere entsprangen einem inneren Vorgang und entstanden auf demokratische Weise. Die Erhaltung, Verbreitung und rechtliche Durchsetzung wurden ebenso diskutiert wie die Probleme moderner Interpretationen.

Ilona Riedel-Spangenberger (Mainz): „Die Statuten der Universität Erfurt im Kontext mittelalterlichen Rechts“, stellt am Beispiel der päpstlichen Errichtungsurkunden und der ersten Statuten der 1392 gegründeten Universität Erfurt dar, wie sich das Rechtsinstitut der Statuten aus dem römischen Recht der Digesten und dem in der Klassischen Kanonistik begründeten Korporationsrecht einerseits und dem für den germanischen Bereich typischen Genossenschaftsrecht und den italienischen Stadtrechten andererseits entwickelt hat. Bezeichnet werden seitdem Statuten als Normen, die neben oder unter dem allgemein geltenden Recht Regelungen darstellen, die als Eigenrecht für einzelne Personengruppen gelten. Ein solches Sonderrecht stellen im Spätmittelalter auch die Erfurter Statuten für die gesamte Universität und für die einzelnen Fakultäten als rechtsfähige Personengesamtheiten dar. Diese waren kollegial und hierarchisch zugleich verfasst und besaßen das Recht zur Statutengebung, zur Selbstverwaltung und zu eigener Gerichtsbarkeit.

Lars Schneider (Hamburg): „Der Buchmarkt als Baukasten: Hybride Diskurse im Schoße der ‚imprimerie lyonnaise’“, warf ausgehend von einer mikroskopischen Lektüre des Titelblatts der Erstausgabe von François Rabelais’ Roman Pantagruel (1532) einen Blick auf den Lyoneser Buchdruck als einer ‚Diskursverarbeitungsmaschine’, die den traditionellen Handwerksordnungen nicht unterstand und sich demzufolge auch nicht nach bewährtem Muster normieren lässt. Der Weg zur Normierung des frühneuzeitlichen Buchmarktes, so die These, führt also nicht über die schriftliche Fixierung einer bestehenden Ordnung, sondern erweist sich als ein Prozess, der neue Institutionen der gesellschaftlichen Kontrolle hervorbringt.

Abendvortrag:
Klaus Krüger (Berlin): „Dispositive gesellschaftlicher Repräsentation: Bildprogramme des Trecento in öffentlichen Raum“, ging der Frage nach, inwieweit Bilder den politischen, gesellschaftlichen und religiösen Raum jener Öffentlichkeit, dem sie als Medien der Kommunikation zugehören, durch ihre genuine Anschauungswirkung definieren und zugleich semantisieren. Wie sich an zahlreichen Beispielen vor allem aus den mittel- und norditalienischen Kommunen verdeutlichen ließ, sind Bilder durch die Spezifik ihrer Visualisierungsleistung in vielfacher Weise auf jene sozialen Kohäsionsziele der institutionellen Symbolisierung bezogen, die sich auch in offiziellen Zeremonien und Festveranstaltungen, in Ritualen, Versammlungen und Gebetsgemeinschaften bekundet. Im Blickpunkt der Ausführungen stand dabei die Frage, inwieweit öffentliche Bildprogramme angesichts einer zunehmenden funktionalen Ausdifferenzierung identitätsstiftender Einheitsideale und Gemeinwohlideen aus bisherigen kirchlich-religiösen Begründungszusammenhängen, wie man sie seit dem Duecento allenthalben konstatieren kann, sowohl durch neuartige Ikonographien als auch besonders durch neue Visualisierungsstrategien ein charismatisches Vakuum besetzen und es kompensatorisch mit religiöser bzw. pseudo-religiöser Autorität füllen.

6. Adel und Akademien
Jürgen Sarnowsky (Hamburg): „Die Statuten geistlicher Ritterorden“ konnte zeigen, dass die Statuten der geistlichen Ritterorden meist nach dem Vorbild monastischer oder regulierter Gemeinschaften entstanden, aber ebenso gewohnheitsrechtliche Regelungen einschlossen. Teilweise machte ihr wachsender Umfang eine Neuredaktion erforderlich. Sie blieben aber zentraler Referenzpunkt interner Diskussionen wie externer Kritik.

Holger Kruse (Kiel): „Ordnung und Finanzen: Die Hofordnungen Philipps des Guten von Burgund“, gab Einblick in einen sich wohl geordnet präsentierenden burgundischen Hof des 15. Jahrhunderts. Er war gegliedert in die Haushalte, die hôtels der Mitglieder der Fürstenfamilie. Für jeden dieser Haushalte gab es eine periodisch erneuerte Ordonnance, eine Hof- oder besser Haushaltsordnung, die die genaue personelle Zusammensetzung, die Dienstzeiten, die Versorgung der Amtsträger u.v.m. detailliert regelte. Täglich wurden Listen (Escroes) erstellt, in denen auf Grundlage dieser Ordnungen die Zahlungen für die Versorgung des anwesenden Personals und die Sachausgaben verzeichnet wurden. Auf Grundlage der im Jahr 2005 veröffentlichten Hofordnungen der Zeit Herzog Philipp des Guten von Burgund wurde die Organisation des burgundischen Hofes dargestellt. Dabei geht es auch um die Frage, welchem Zweck diese gesetzten Ordnungen dienten und inwiefern die verschriftlichte Satzung als verbindlich angesehen wurde.

Gottfried Kerscher (Trier): „Jacobi III Regis maioricarum Leges palatine – Eine Zeremonalordnung als Statut?“ konzentrierte sich auf die 1337 niedergelegten und wohl vorher entstandenen Leges Palatinae, die sich heute in der Bibliothèque Royale Albert 1er in Brüssel befinden, und das Leben am Hof des mallorquinischen Königs Jaime III. strukturierten. In der illustrierten Handschrift wird im Prolog der Inhalt als leges bzw. constitutiones und ordines bezeichnet. Sie hebt also darauf ab, eine Hofordnung zu sein. Stärker als vergleichbare Gehaltslisten und knappe Festlegungen, wer welche Dienste zu übernehmen hatte, wird der soziale Aspekt im Sinn einer Regulierung höfischen Lebens betont, wobei vermutlich der repräsentative Aspekt eine große Rolle spielen dürfte. Daher sind die Festlegungen auch als Königsdienst interpretiert, und nicht selten wird dem "Was" auch noch ein "Wie" hinzugefügt. Repräsentation, so die These des Referenten, sollte hier eine Lücke hinsichtlich der Legitimierung des Herrschers schließen.

Thomas Ricklin (München): “Das erste erhaltene Statut einer humanistischen Akademie. Eine eher conviviale Erörterung einer vexata quaestio“, ging von dem Begriff academia aus, der vor allem im Florenz der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts überaus schillernd und, wie Hankins gezeigt hat, in höchstem Masse uneindeutig war. In dieser Situation besteht eine Möglichkeit der Begriffsklärung darin, erhaltene Akademie-Statuten auf ihre Verwendung des Begriffs zu befragen. Die ersten erhaltenen Statuten einer Akademie stammen aus dem Jahr 1502 und haben die Organisation der Nea akademia des Aldus Manutius zum Gegenstand. Der auf Griechisch verfasste Text regelt in offensichtlich spielerischer Weise das soziale Geflecht der um Manutius und seine Druckerpresse in Venedig versammelten Spezialisten, macht aber überaus signifikante Anleihen bei den zeitgenössischen Zunftstatuten. Mindestens im Fall der Nea akademia entsteht der Eindruck, hier werde versucht, mit den überkommenen Möglichkeiten der Zunftstatuten bisher noch nicht organisierte Spezialisten als Körperschaft neu zu bestimmen. Da diese Körperschaft indes noch nicht über eine kohärente Identität verfügte, beschränkte sie sich darauf, sich eigene Verhaltensregeln aufzuerlegen.

7. Bruderschaften
Katharina Behrens (London/U.K.): „We wille and ordneygne - Zum Stifterwillen in englischen Armenhausordnungen des späten Mittelalters“ nahm die Statuten spätmittelalterlicher englischer Armenhäuser ausgehend von dem sich darin dokumentierenden Willen der Stifter in den Blick. Sie befragte sie auf drei motivationale Aspekte – Memoria, soziale Fürsorge und Repräsentation; dabei wurde die generelle Ähnlichkeit zu den Statuten anderer zeitgenössischer kirchlicher Institutionen, z.B. Kollegiatkirchen, hervorgehoben.

Anna Esposito (Rom/Italien): “Statuti confraternitali italiani del tardo medioevo: aspetti religiosi e comportamentali”, machte sich zur primären Aufgabe, in der statuarischen Normgebung das ideale Lebensprogramm von Anhängern frommer Vereinigungen zu beleuchten, mit besonderer Berücksichtigung von religiösen Aspekten und bestimmten, damit verbundenen Verhaltensformen. Letzteres betraf die Untersuchung einer langen Reihe von Normen, die den Eintritt in eine Bruderschaft für eine bestimmte Kategorie von Personen und Sündern verboten. Untersucht wurden auch jene Normen, die den Ausschluss aus der Gemeinschaft zur Folge hatten. Beide Normkategorien zeigten ein eher strukturiertes Bild von Verhaltensformen, die von einem sogenannten guten Christen erwartet wurden.

Thomas Frank (Berlin): „Bruderschaftsstatuten im spätmittelalterlichen Deutschland. Rechtsgeschichtliche Fragen“ untersuchte, wie sich in Statuten spätmittelalterlicher deutscher und italienischer Bruderschaften die in der juristischen Korporationslehre diskutierten Rechtsprobleme niederschlagen, und zeigte, dass viele dieser Probleme – vor allem sofern sie die Beziehungen zwischen Bruderschaft und Obrigkeit betreffen – auch den lokalen Statutenautoren bewusst waren. Von rechtsgeschichtlichem Interesse sind Bruderschaftsstatuten aber nicht nur aus diesem Grund, sondern auch deshalb, weil sie in Fällen, in denen sich mehrere Redaktionsstufen erhalten haben, Einblicke in das Zustandekommen normativer Texte und damit in den diskursiven Charakter des Rechts ermöglichen.

Katja Gvozdeva (Berlin): „Burleske Statuten in Spätmittelalter und Früher Neuzeit“, widmete sich den spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Texten, die sich als Statuten bzw. ordonnances der Narrengesellschaften bezeichnen. Ins Zentrum der Analyse wurde die Frage nach dem Status des karnevalesken Statuts im Spannungsfeld zwischen ‚Rechtsdokument’ (auch wenn dieser Begriff nur im begrenzten Sinne von Volksjustiz und Rügerechten verwendet wurde), gesellschaftlicher Satire und literarischer Fiktion gestellt.

Resümee
Gisela Drossbach wies in ihrer Zusammenfassung darauf hin, dass Statuten heterogene und überaus disparate Texte sind – eine Problematik, die den Organisatorinnen der Tagung wohl bewusst war. Die Fokussierung auf einzelne Statuten und detaillierte Aspekte, wie es anhand der dreißig Vorträge geschah, konnte den Eindruck der Disparität dieser Texte nur verstärken. Dennoch ließ sich eine Vielzahl von Grundzügen und übergeordneten Tendenzen festhalten. In dieser Hinsicht wurden u.a. die Funktionalität von Statuten und die Modernität des statutarischen Rechts herausgestellt. Mit der Funktionalität von Statuten wurde der Fragenkomplex berührt, in welcher Absicht und zu welchen Zweck derartige Texte verfasst wurden. Auffallend war, dass sie häufig in Krisenzeiten und/oder aus Anlass von Reformen entstanden. Oft dienten sie zur moralischen, geistigen oder sozialen Disziplinierung und Kontrolle. Wer war berechtigt, an der Genese mitzuwirken, und wer tat es darüber hinaus? Die Beleuchtung des komplexen Prozesses der Konsensfindung wird auch für künftige Studien spannend bleiben. Zu berücksichtigen waren auch die rezessiven Momente der Traditionswahrung, nämlich der Schutz der Überlieferung vor Neuerungsansprüchen. Für die Modernität des statutarischen Rechts spricht andererseits allein schon die überwältigende Anzahl von Statuten, die uns erhalten geblieben sind (man denke allein an die Tausende von Polizeystatuten), ihre enorme Disparität und Multifunktionalität; denn eine derartige Normierungsflut ist erst wieder für die Neuzeit auszumachen.

Die Drucklegung der Beiträge ist beabsichtigt.